Nicht verfügbar

TasiilaqOstgrönland. Nächste Information. Stand-by. Delayed. Cancelled. Das sind Wörter, an die man sich gewöhnen muss, wenn man in Ostgrönland reist. Es ist wahrscheinlicher, dass etwas nicht klappt, als dass es klappt. Pläne werden gemacht, um sie zu ändern. Pläne werden besser gar nicht gemacht. Hier ist man zurückgeworfen auf sich selber, immer und immer wieder. Du willst, aber was Du willst, passiert einfach nicht. Mach was damit, mit dem Nicht-Passieren, mit dem Warten, mit der alles durchdringenden Nichtverfügbarkeit, mit der ständigen Präsenz der Absenz von nahezu allem, was du gewohnt bist.

So ist das hier, aber ich verbiete mir, zu jammern. Ich verbiete mir auch, mich zu ärgern. Ich verbiete mir Ungeduld und Raserei. Denn ich bin nur zu Gast hier, und andere auch. Irgendwann sind wir wieder in unserer durchgetakteten, datierten, systematisierten, reglementierten Welt, in der vor allem immer alles da oder leicht zu bekommen oder erreichen ist. Wir selber eingeschlossen.

Das gilt aber nur für uns Zureisenden, und nicht für die Menschen, die hier leben. Für Menschen hier geht es bei all den Unwägbarkeiten, mit denen man hier konfrontiert wird, nicht um ein Urlaubsende, ein Auftragsende, ein Nach-Hause-Fahren. Für sie geht es darum, einen Arzt zu besuchen, Essen zu bekommen, Waren zu erwarten. Für sie geht es wirklich um was, es geht um ihr ganz normales, tägliches Leben.

Seit einem knappen Monat bin ich nun in Ostgrönland. Auf dem Herweg hing ich fünf Tage in Island. Während ich hier war, flog anderthalb Wochen kein Hubschrauber. Anderthalb Wochen für eine Reparatur – weil niemand die einzige Verbindung zu den Menschen hier als wichtig genug empfindet, Ersatzteile so zu lagern, dass eine Reparatur schneller möglich wäre.

Interessant ist, was das mit den Menschen macht, die warten, mit denen, die aus dem Süden kommen. Erstaunlicherweise reden die meisten ununterbrochen über Hubschrauber, Kulusuk, Air Iceland, Reykjavik, Wind. Anderthalb Wochen lang, jeden Morgen wieder, bis jeden Abend, und am nächsten Tag wieder von vorne. Nur ein kleiner Teil nimmt das Warten an, sucht sich eine Beschäftigung. Bei manchen kann man dabei zusehen, wie sie zerfallen, jeden Tag ein Stückchen mehr. Das Warten macht sie rasend, das Gefühl, hier eingeschlossen zu sein. Keine Kontrolle, das ist das, was man hier lernen muss, man hat keine Kontrolle, nicht über das Wetter und auch sonst über nichts. Alles ist hier nun einmal so, wie es ist, und wie es ist, das sieht man von einem Moment zum anderen, und nicht vorher, und auch dann ist es noch nicht so richtig sicher. Alles ist immer aufs Neue verhandelbar.

Die Menschen von hier, die warten, zucken mit den Schultern. Nur einer wird ungeduldig, er wartet auf ein Telefon. Aber er kennt das. Irgendwann wird es schon kommen, so ist es eben.

Wer keine Geduld hat, so wie ich, lernt hier jeden Tag dazu. Die Dinge gehen nicht so, wie man will, nicht so wie man es gewöhnt ist, sie gehen irgendwie anders, aber wie, das ist schwierig zu verstehen für einen deutschen Kopf. Das letzte Versorgungsschiff war hier vor dem Winter, jetzt ist April, das nächste kommt im Juni. Während die Tage länger werden, werden im Laden die Regale leerer, ein Artikel nach dem anderen verschwindet, und das einzige, was immer da ist, scheinen Chips zu sein. Hier gibt es kein amazon, keine Über-Nacht-Bestellung. Hier gibt es das, was es gibt. Und manchmal gibt es nicht einmal Schrauben, um ein Brett an der Wand fest zu machen. Das ist eben so, das Brett muss dann warten und die Dinge, die auf das Brett sollten, und man selber noch dazu. Ostgrönland, das ist Grönland von hinten, und so heißt es ja auch: Tunu.

In diesem Hinten wartet ein Schatz, denn wenn die Dinge immer anders gehen als du denkst, dann lernst du über dich. Dann nimmt dein Weg einfach eine andere Schleife, und plötzlich gibt es kein so-muss-es-Sein mehr, und in dem Moment, in dem dir das klar wird, bist du frei.

Was haben wir uns für ein System gebaut, im Süden, immer enger um uns herum, alles immer fix. Zugverspätungen von fünf Minuten werden vermeldet, weil niemand fünf Minuten hat, einfach so. Zeit ist Geld.

Hier ist nichts fix, hier ist alles frei. Zehn Minuten, dann ist man draußen aus dem Ort, in der wilden Welt Ostgrönlands, in der Weite und der Stille, in einer grandiosen Welt aus Schnee und Eis und Wasser. Man ist hier eingeschlossen und trotzdem frei, man kann zürnen mit dieser Abgeschiedenheit und Ausgeliefertheit und täglichen Verhandelbarkeit und dann kann man sich wieder beruhigen. Und irgendwann stellt man dann fest, dass dieses ganze Paket in sich vor allem eines ist: wunderbar.

2 Gedanken zu „Nicht verfügbar

  • 5. August 2016 um 11:53 am
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    thank you!

  • 5. April 2016 um 5:19 pm
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    Liebe Birgit
    Eine schlaue Frau hat mal zu mir gesagt: Wenn dir das Leben wieder Steine in den Weg legt, bau was schönes drauß!
    🙂

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