Eine Klärung: Pixelbär, Störbär und Halb-Bär, Angstbär, Hilfsbär und Schreckbär, Statistikbär und: wunderbarer Eis-Eisbär

baer1Anfang August, seit März unterwegs. Zeit, mal ein paar Dinge zu klären. Warum ein Eisbär nicht immer nur ein Eisbär ist, und warum ein Pixelbär selten zum Problembär wird, zum Beispiel, was aber manchmal zu Problemgästen führt.

Wer in die Arktis fährt, will Eisbären sehen. Und zwar so gut, dass er vor allem Fotos von Eisbären machen kann, die er zuhause herzeigen und auf Facebook posten will. Geschätzte 99 Prozent der arktischen Schiffsgäste wollen das.

Der Bär muss also irgendwie zu sehen sein, und zwar so, dass der zukünftige Betrachter des Fotos des Bären sagt: Ui. Und nicht: Wo?

Am besten geht das, wenn der Bär nah ist. Und sauber. Und auf dem Eis. Besser noch: Blutig. Fressend. Rollend. Wenn schon schlafend, dann putzig schlafend. Gleichzeitig will der Gast aber nicht von einem Eisbären gefressen werden. Der Bär soll also nah und gleichzeitig ungefährlich sein und er sollte dabei nicht schlafen, sondern irgendetwas tun.

Diese Bärenfotolieferung immer wieder hinzukriegen – das ist es, was Guides machen. Guides haben deswegen öfter Ringe um die Augen; das kommt nicht nur vom fehlenden Schlaf, sondern auch vom Starren durch Ferngläser, deren Gummi-Manschetten irgendwann eins werden mit Guide-Augenhöhlen.

Im Verlauf der Suche nach dem perfekten Bären begegnen dem Guide viele andere Bären. Es gibt da den Pixelbär. Der Pixelbär liegt irgendwo in der Ferne als gelber Punkt auf grüner Wiese. Man sieht ihn gerade mal mit einem riesigen Kristall-Scope aus Österreich. Dann gibt es Zweipixelbären, die irgendwo als etwas größerer Punkt herum flimmern und die man auch mit Fernglas schon erahnen kann. Vierpixelbären kann man ohne Fernglas sehen, sofern sie sich bewegen. Pixelbären haben oft das Problem, das man nicht nah an sie rankommt, weil sie sich ungeschickt inlandig platzieren, das Schiff aber nicht aufs Land fahren kann und die Zodiacs auch keinen besseren Blickwinkel ermöglichen.

baer3Pixelbären sind manchmal ganz gut. Guides haben dann wenigstens mal irgendwas gefunden, noch dazu etwas, mit dem sie beweisen, dass sie Dinge finden, die man eigentlich gar nicht sehen kann.  Gäste aber können mit ihren zigarettenschachtelgroßen Kameras keine Fotos von Pixelbären machen, bei denen mehr als ein fluffiggelbes Pixel zu sehen wäre. Deswegen ist der Frustrationsfaktor von Pixelbären mittel.

Ein- bis Vierpixelbären sind unter dem Begriff Statistikbären zusammenzufassen. Man kann dann am Ende der Reise sagen: Wir haben 27 Bären in zehn Tagen gesehen. Dass davon 25 Pixelbären waren, interessiert in der Regel weder den Erzähler noch den Zuhörer.

Dann gibt es Bären in Strandnähe, von denen man den Kopf oder ein Ohr oder den Hintern sieht. Sie wären nah, sind aber nicht vollständig zu sehen, sind also Halb-Bären, was nicht den Anforderungen eines guten Fotos entspricht. Sie sehen das Schiff sogar, sind aber gänzlich uninteressiert. Nicht einmal Zodiacs jucken sie. Eisbären sind nicht blöd. Sie wissen: Schiffe, Zodiacs, Menschen – alles unergiebig. Widmen sie ihnen Aufmerksamkeit, verbrennen sie nur mühselig zusammengejagte Robbenfettkalorien. Sie bleiben also in ihrer Kuhle liegen und nach etwa fünf Minuten ist es dem Gast fad, weil das mit den Eisbären in dieser Doku von Sir David Attenborough ganz anders aussah. Wer kanns dem Gast verdenken.

Ein Guide hat dieses Jahr gesagt, die Medien sind mittlerweile so gut, da kommt die Realität einfach nicht mehr mit. Die Realität kann nur noch enttäuschen. Tja.

Dann gibt es Bären, die ein Schiff sehen und weglaufen, das sind die Angstbären. Die einem den Bobbers hinstrecken, und wenn man Glück hat, steht wenigstens keine Nummer drauf, sonst ist es ein Nummernbär. Wenn man Pech hat, steht die 73 drauf, die irgendein Forscher dem Bär mal auf den betäubten Hintern gesprüht hat. Die 73 ist zu Saisonbeginn dieses Jahr  so oft gesehen worden, dass man fast geglaubt hat, es gibt überhaupt nur noch Bär 73, und 25 Schiffe teilen sich diesen einen Bären. Aber der Gast ist mit einem Foto von einem Eisbären, auf dessen Arsch 73 steht, auch nicht glücklich, weil richtig wild sieht das auch nicht aus. Stimmt ja auch.

Will man nun an Land gehen, und liegt da ein Halb-Bär in einer Kuhle genau an der Landestelle, ein Bär also, der wieder nicht den Anforderungen entspricht, der einem aber auch noch die Landung kaputt macht, weil man natürlich nicht neben einem Bären anlandet – dann wird ein Halb-Bär zum Störbär. Er stört. Der Gast kann weder fotografieren noch wandern, nur Kaffeetrinken. Guides müssen schleunigst eine andere Landestelle oder einen besseren Bären finden. Störbären haben deswegen ein höheres Frustrationspotenzial als Pixelbären.

Übersieht man einen Störbären und geht neben ihm an Land, und steht der Störbär erst dann aus seiner Kuhle auf, wenn alle Leute die Schwimmwesten abgelegt haben und los gewandert sind, dann kann er zu einem Hilfsbär werden. Ein Hilfsbär ist ein Bär, der imposant nah ist, imposant aussieht, imposant in unsere Richtung schnuppert, und dann davon schlendert. Dann halten alle Gäste und viele Guides die Luft an. Und die Gäste laufen fortan nie wieder aus der Reihe bei Landgängen und machen auch kein 27. Foto mehr vom stängellosen Leimkraut, während alle anderen schon 50 Meter weiter sind.

Der Hilfsbär allerdings wird zum Schreckbär, wenn er alles so macht wie der Hilfsbär, dann aber nicht davon schlendert. Das will man sowas von gar nicht haben, dass man noch nicht mal darüber schreiben will.

Neben all diesen Bären, die in großer Zahl vorkommen, gibt es dann noch den einen, sehr seltenen Bären: den wunderbaren Eis-Eisbären. Der wunderbare Eis-Eisbär ist gesund, wohl genährt und sauber. Man trifft ihn auf dem Eis, und er ist so neugierig, dass er näher herankommt. Er kommt so nah, dass er den Bug beschnuppert, den Kopf unter Wasser streckt um dieses Ding von unten zu sehen und sich mit den Pfoten an den Bug lehnt, während er nach oben schaut. Den wunderbaren Eis-Eisbären hört man atmen, man hört ihn auf dem knirschenden Schnee laufen, man sieht ihm in die Augen und er sieht einem in die Augen, was noch viel besser ist.

Man stört ihn nicht. Wenn man noch mehr Glück hat, fängt er direkt neben dem Schiff eine Robbe und frisst sie auf, während sich noch zwei Elfenbeinmöwen zu ihm auf die Scholle setzen. Das gibt dann die Fotos, die alle haben wollen. Das sind die Szenen, bei denen es nicht so schnell fad wird.

Der wunderbare Eis-Eisbär führt zu unkontrollierten Endorphin-Ausschüttungen und tränenden Augen bei Guides und Gästen. Der Guide kann endlich die Gummi-Manschetten des Fernglases von der Augenhöhle ploppen lassen und der Gast kann auch mit einer 29 Euro Klickklack-Kamera Fotos machen, bei denen der Betrachter sagt: Wow. Dem Guide fällt ein Eisberg vom Herzen, weil er endlich das gefunden hat, weswegen der Gast Tausende Euro in die Hand genommen hat und aufs Schiff gekommen ist.

Den wunderbaren Eis-Eisbär zu sehen, einen Bären also, der neugierig ist, eine Robbe erlegt und frisst, danach im Wasser schwimmt und sich auf einer Eisscholle rollt, ist ein großes Glück und eine noch größere Freude. Es ist ein Geschenk. Es ist selten. Es ist genau das, was man bei Sir David Attenborough sieht. Aber dann ist die Realität doch noch besser als der Film.

4 Gedanken zu „Eine Klärung: Pixelbär, Störbär und Halb-Bär, Angstbär, Hilfsbär und Schreckbär, Statistikbär und: wunderbarer Eis-Eisbär

  • 7. September 2016 um 5:55 pm
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    Wunderbar witziger Text über das lustvolle Leiden arktischer Guides!

  • 5. August 2016 um 11:50 am
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    Hallo Stefan, der Text ist durchaus lustig gemeint, und selbstverständlich zugespitzt.
    Hallo Nadine, der Dinner-Bär!!!! Der hätte unbedingt mit reinmüssen! 🙂

  • 4. August 2016 um 8:49 pm
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    Perfekt beschrieben Birgit 🙂 Nicht zu vergessen der „Kuchen-Bär“, der pünktlich zum Kaffee erscheint und gemütlich von Deck aus beobachtet werden kann……………………..und der “ Dinner-Bär“, der auftaucht, wenn alle beim Essen sind – und am Ende alles kalt wird 😉

  • 4. August 2016 um 1:58 pm
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    wenn man solch eine Reise unternimmt und einem das fotografieren von Bären und anderen sehenswertem wichtig ist sollte und wird man nicht nur eine 29,50 Kamera oder Smartphoneknipse dabei haben. Schließlich sind es nicht nur und ausschließlich Eisbären was sehenswert ist und auch wahrhaftig nicht der einzige Grund nach Svalbard zu reisen.
    Aber sehr wahrscheinlich das Du andere Erfahrung gemacht hast 😉

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