Plastic-fantastic! Plastik ist zu wertvoll, um es zu verschwenden – eine Serie über Alternativen

Als ich vor ein paar Jahren anfing, mich gegen Plastik zu engagieren, war ich noch ein Exot. Das Problem war den meisten Menschen gar nicht bewusst. Das ist heute zum Glück anders. Ich bin froh, dass ich mich in den Anfangszeiten nicht von meinem Kampf gegen Plastikmüll habe abbringen lassen – denn es ist wirklich wunderbar, welch großes Interesse mir und dem Projekt mittlerweile entgegengebracht wird, wieviel Unterstützung ich erfahre und welch wunderbare Menschen mir dadurch begegnet sind. Das macht mich so froh! Deswegen kommt jetzt die nächste Stufe: Ich beginne hier eine Serie über Plastik, weil mir immer wieder die gleichen Fragen gestellt werden: Welche Alternativen zu Plastik gibt es? Was kann ich alleine tun und bewirken? Wie genau ist das mit Mikroplastik, Glas- versus Plastikflaschen oder den Kläranlagen in Deutschland? Ich zeige, was ich selbst in meinem Leben geändert  habe – ihr könnt es dann einfach nachmachen und euch mühsames Suchen ersparen. Es ist viel einfacher (und häufig auch noch billiger) als man denkt!

In dieser Serie werde ich in loser Folge über Plastikmüll und Plastikvermeidung berichten. Mit praktischen Tipps und viel Information – denn nur, wenn man etwas weiß, kann man etwas verändern. In diesem ersten Text kläre ich deshalb zuerst einige grundsätzliche Fragen zum Plastikmüll und warum wir dringend etwas ändern sollten.

Was ist eigentlich das Problem an Plastikmüll?

Das Plastik-Problem lässt sich ganz einfach auf das Zusammentreffen von drei einzelnen Faktoren reduzieren – und nur, weil diese drei Faktoren gemeinsam auftreten, wird Plastik wirklich zum Problem. Das heißt für die Suche nach Lösungen: Könnte man nur einen dieser Faktoren eliminieren, wäre das Problem schon in weiten Teilen gelöst. Diese Faktoren sind:

  1. Plastik hält – eine PET-Flasche braucht ungefähr 450 Jahre, bis sie sich zersetzt.
  2. Plastik ist überall – selbst in der Zentralarktis und im fast 11000 Meter tiefen Marianengraben
  3. Plastik ist giftig – es enthält und absorbiert Gifte, die sich in der Nahrungskette anreichern.

Wenn man Plastik mit einem Stoff ersetzen könnte, der sich schneller zersetzt ODER wenn man den Plastik-Eintrag in unsere Öko-Systeme deutlich verringern bis eliminieren könnte ODER wenn man einen Kunststoff ohne Schadstoffe herstellen könnte – dann wäre das Problem nicht mehr das, was wir heute haben.

Wieviel Plastik gibt es denn?

Noch im Jahr 1950 wurden weltweit pro Jahr nur 1,5 Millionen Tonnen Plastik produziert. In den Fünfzigerjahren begann die Massenproduktion von Kunststoffen; die zu Beginn sehr langsam Fahrt aufnahm, dann aber immer schneller. Im Jahr 2015 waren wir bei einer jährlichen Produktion von 381 Millionen Tonnen angelangt. Interessant dabei ist das rasante Wachstum der Plastikproduktion seit der Jahrtausendwende: Von 2002 bis 2015, also in 13 Jahren, haben wir genauso viel Plastik produziert wie von 1950 bis 2002, also in 52 Jahren. Und die Produktion wächst weiter.

Von Beginn der Produktion bis 2016 sind etwa 8300 Millionen Tonnen Plastik hergestellt worden.

Wieviel Müll entsteht dadurch?

Müll-Jahreszahlen sind kompliziert festzustellen, weil länger haltende Materialien unkontrolliert der Müllmenge zufließen. Das führt dazu, dass sich die Plastikproduktion im Jahr 2010 auf 270 Millionen Tonnen weltweit belief, die Plastikmüllmenge allerdings auf 275 Millionen Tonnen weltweit (weil das Plastik aus früheren Jahren in den Müllstrom einfloss).

Wieviel Müll sich heute in unseren Meeren befindet, ist schwer zu nennen. Es gibt mittlerweile viele wissenschaftliche Studien, die diesen Wert berechnen wollen, doch all diese Studien rechnen den Müll durch einzelne Zählungen hoch und haben dadurch Unsicherheiten. Deshalb haben Forschungsteams einen anderen Ansatz gewählt und ausgehend von Produktionsdaten errechnet, wie viele Kunststoffabfälle weltweit pro Jahr anfallen und wieviel davon im Meer landet. Auch diese Zahl ist aber nicht eindeutig festzulegen, die Forscher gehen von 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen pro Jahr aus.

Seit 2016 sind die Müllmengen weiter gewachsen, die Verteilung in die einzelnen Sektoren blieb etwa gleich: Verpackungen bilden den dominanten Faktor, gefolgt vom Bauwesen. Da Verpackungen aber einen wesentlich kürzeren Verwendungszyklus haben als Produkte der Bauindustrie oder Textilien, dominieren Verpackungen auch die Müllmenge. Verpackungen machen fast die Hälfte des globalen Plastikmülls aus.

Was ist mit Fischernetzen?

Laut Schätzungen stammt etwa 80 Prozent des Mülls im Meer von Quellen an Land, 20 Prozent von Quellen auf See. Hier dominiert die Fischerei-Industrie, die verantwortlich ist für verlorene oder entsorgte Netze, Taue und entsorgten Müll sowie verlassene Schiffe. Der Anteil der Müllquellen variiert lokal deutlich, abhängig von der Örtlichkeit, Strömungen, Bevölkerung und Aktivitäten in dem betreffenden Gebiet. In Spitzbergen beispielsweise ist der Anteil des Fischereimülls deutlich höher, während anderswo Hausmüll dominiert.

Die Welternährungsorganisation nennt in einer Studie zwei erschreckende Zahlen: 25.000 Netze gehen demnach allein in den europäischen Meeren verloren, insgesamt rund 1250 Kilometer an Netzen allein in Europa. Das hat deutliche Folgen für das marine Leben, für Säugetiere wie Wale, Robben und Delfine gleichermaßen wie für Seevögel, die sich in den Netzen verheddern und verenden. Von mehr als 800 marinen Arten ist mittlerweile belegt, dass sie von Plastik beeinträchtigt sind. Fischernetze sind langlebig – bis zu 600 Jahre kann es dauern, bis sich ein solches Netz zersetzt hat. Dann allerdings ist es noch immer als Mikroplastik vorhanden und gelangt in die Nahrungskette.

Aber Plastik kann man doch recyceln?

Recycling wäre eine sinnvolle Methode, mit bereits produziertem Plastik umzugehen. Derzeit landen von der globalen Müllmenge 55 Prozent in Deponien, 25 Prozent werden verbrannt und 20 Prozent werden recycelt. Von dem zwischen 1950 und 2015 entstandenen Plastikmüll wurden neun Prozent recycelt, 91 Prozent deponiert oder verbrannt.

Aber wir in Deutschland sind doch besser? Hier wird doch alles recycelt?

Die Antwort ist einfach: Nein.

2016 fielen in Deutschland insgesamt 18,2 Millionen Tonnen Verpackungsmüll an. Das sind 220,5 Kilo pro Kopf und damit 53 Kilo mehr als der EU-Durchschnitt von 167,3 Kilo.

Der Recyclinganteil aller EU-Staaten sah 2015 folgendermaßen aus:

  1. Slowenien 63%
  2. Tschechien 63%
  3. Bulgarien 61%
  4. Niederlande 51%
  5. Deutschland 49%
  6. Schweden 49%
  7. Spanien 44%
  8. EU gesamt 40%
  9. Österreich 34%
  10. Frankreich 25%
  11. Finnland 24%

Deutschland findet sich hier also gemeinsam mit Schweden nur auf dem 5. Platz, weniger als die Hälfte des Plastikmülls wird recycelt. Hinzu kommt, dass diese Zahlen häufig kritisiert werden, weil sie geschönt werden. Denn häufig wird Plastik zwar dem Recycling zugeführt, kann dann aber nicht recycelt werden und wird verbrannt. In der Statistik taucht es dennoch als recycelt auf.

Negativentwicklung bei Mehrwegflaschen

Der Anstieg der jährlichen Verpackungs-Müllmenge ist in Deutschland auf mehrere Faktoren zurückzuführen (mehr Single-Haushalte und Verpackungen in Portionen, höheres BIP und dadurch mehr Konsum, mehr Versandhandel). Einen nicht unbeträchtlichen Anteil haben auch die Verpackungen von Getränken: Von 2007 bis 2016 ist der Anteil der Mehrwegflaschen von 51,2 auf 42,8 Prozent gesunken, Einwegverpackungen von 45,4 auf 55,8 Prozent gestiegen. Wer auf die Zunahme ökologisch vorteilhafter Einwegverpackungen hoffte, wird auch hier enttäuscht: Von 3,4 auf 1,4 Prozent hat sich dieser Anteil verringert.

Der deutsche Plastiktütenverbrauch ist inzwischen zwar gesunken – aber noch immer werden in Deutschland 2,4 Milliarden Plastiktüten (ohne die Obst- und Müllbeutel) verbraucht. Das sind 29 Tüten pro Kopf.

Blick in die Zukunft

Wenn wir den Weg weitergehen, den wir bisher gegangen sind, weiterhin so viel und noch mehr Plastik verbrauchen, andere Stoffe immer weiter durch Plastik ersetzen, ergibt sich folgende Prognose: Im Jahr 2050 würden dann 1124 Millionen Tonnen Müll weltweit produziert. Jedes Jahr aufs Neue. Damit wäre dann mehr Plastik als Fische in unseren Meeren.

Viele Zahlen – und was jetzt?

Diese Zahlen sind notwenig, um zu illustrieren, wie groß unser Problem mittlerweile ist. Doch in der Vergangenheit sind schon andere Probleme angegangen und gelöst werden. Ich denke hier an FCKW – auch hier hat sich eine negative Entwicklung aufhalten lassen. Ausschlaggebend bei FCKW waren allerdings staatliche Verbote, auf die man sich international geeinigt hatte. Leider zeigt auch eine Reihe von Fallstudien des United Nations Environment Programme (UNEP), dass staatliche Verbote oder Gebühren die einzig wirkungsvollen Maßnahmen sind, wenn es um positive Entwicklungen im Müllbereich geht. Hierzu hatte das UNEP 2018 eine ganze Reihe von Maßnahmen untersucht, die weltweit bereits ergriffen worden sind. Auf Freiwilligkeit basierende Programme hatten wenig Erfolg, so das ernüchternde Fazit. Dagegen hatten teils ganz simple Maßnahmen wie die Einführung einer PlasTax auf Plastiktüten in Irland ganz erstaunlichen Erfolg: Der Anteil von Plastiktüten an der Gesamtmüllmenge Irlands sank innerhalb eines Jahres von 4,8 auf 0,22 Prozent, der Pro-Kopf-Verbrauch sank von 328 auf 21 Tüten.

Es ist also die Politik gefragt, wirksame Maßnahmen gegen die Plastikflut zu ergreifen und wenn nötig, Verbote auszusprechen.

Was wir außerdem brauchen, sind Innovationen, schlaue Produkte, die dem Wissensstand von 2019 entsprechen. Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit muss nicht mit Verzicht und Selbstkasteiung einhergehen. Gleichzeitig sollte es nicht in der Verantwortung der Verbraucher liegen, den Konsum durch zeitaufwändige Recherchen und Anstrengungen möglichst umweltverträglich zu gestalten. Unser Anspruch muss und darf sein, dass alle Produkte automatisch der eigentlich selbstverständlichen Maxime genügen: Dass sie unsere Welt nicht über Gebühr schädigen.

Was wir deshalb brauchen, ist die Entwicklung von Alternativen: Stoffe, die die gleichen Vorteile wie die bereits bestehenden Kunststoffe bieten, aber weniger umweltschädlich sind. Forschung und Entwicklung in solche Projekte muss gefördert werden, während Produkte, die unser aller Lebensraum schädigen, eingedämmt werden müssen: Einwegflaschen, Nespresso-Kapseln, Coffee-to-go-Becher – das sind Produkte aus dem vergangenen Jahrtausend. Sie sind nicht innovativ, nicht attraktiv, sie verbrauchen auf unangemessene Weise Ressourcen und verursachen unübersehbaren Müll – und damit einen unübersehbaren Schaden. Für diese Schäden müssen in Zukunft die Verursacher, die Hersteller zur Verantwortung gezogen werden. 

Das ist ein weiter Weg, aber ein Anfang ist gemacht. Bis es allerdings von Regierungs- und Herstellerseite so weit ist, können wir selbst einiges tun. Jeder Mensch verursacht im Laufe seines Lebens seinen eigenen kleinen Müllberg. Wie groß der am Ende ist, liegt in der Hand eines jeden Einzelnen. Die Summe unserer Einzelhandlungen führt am Ende zu den obenstehenden Statistiken. Es ist nicht egal, wie der Einzelne sich verhält.

Seitdem ich mich mit Plastikmüll im Haushalt beschäftige, bin ich überrascht, wie einfach manche Dinge sind – und außerdem auch noch billiger.

In den folgenden Wochen stelle ich euch hier Mittel und Wege vor, mit denen ihr selbst euren Müllberg verkleinern könnt, auf ganz einfache Weise.

Wichtig ist einfach, dass man mit irgendetwas anfängt. Wir brauchen keine verschwindende Minderheit, die ein perfektes Zerowaste-Leben führt. Wir brauchen eine riesengroße Mehrheit, die es unperfekt versucht, und Schritt für Schritt weitergeht.

Quellen:

Our world in data: Plastic Pollution

Plastics Europe: Plastics – the Facts 2018

Business Insider: Erschreckende Studie: Innerhalb von 13 Jahren haben wir die Hälfte des weltweiten Plastiks produziert

AWI: Müll im Meer

Deutsche Welle: Das passiert mit dem deutschen Müll

Umweltbundesamt: Verpackungsabfälle, Packmittelgruppe Getränke

United Nations Environment Programme: A Roadmap for Sustainability