992 Kilogramm Müll… und noch viel mehr

DSC_3286Alle, die diesen Blog ein bisschen verfolgt haben, wissen davon: Während der vergangenen arktischen Saison habe ich auf Spitzbergen an einem Citizen Science Projekt für das Alfred Wegener Institute Helmholtz Centre for Polar and Marine Research (AWI) in Bremerhaven gearbeitet. Viele Gäste auf den Schiffen halfen bei dem Projekt und ermöglichten die Sammlung und Zählung einer ansehnlichen Menge Müll. Nach der Rückkehr haben wir jetzt die gesammelten Daten angesehen und ein erstes Fazit gezogen. Aber zuallererst möchte ich mich bei allen Teilnehmern bedanken! Ihr wart super!

(Dieser Blogbeitrag wurde gemeinsam von Birgit Lutz, Melanie Bergmann und Lars Gutow vom AWI verfasst.)

Die Bereitschaft so vieler Gäste, beim Sammeln, Zählen und Wiegen mitzuhelfen, machte es möglich, dass wir nun Daten von sieben Strandreinigungen und 18 Transektbeobachtungen auf See haben, von Norwegen hoch nach Spitzbergen und um die Inseln herum. Wir konnten so außerdem viel über die speziellen Herausforderungen von arktischen Strandreinigungen lernen. Das Projekt 2016 war ein erster Test. Wir wollten das Potenzial eines Citizen Science Projekts zu menschlich verursachtem Müll in Meeren und an Stränden ausloten. Es wird bereits viel Müll in Spitzbergen eingesammelt – bisher ist dieser Müll aber nie wissenschaftlich erfasst worden. Es war ein Pilot, und wir sind mit den Ergebnissen dieses Piloten sehr zufrieden.

DIE ERGEBNISSE

DSC_2854Vergangene Woche konnte ich mit Melanie Bergmann und Lars Gutow vom AWI sprechen. Sie waren während der letzten Saison ebenso in der Arktis unterwegs, auf dem deutschen Forschungsschiff RV Polarstern. Sie untersuchten unter anderem das Ausmaß der Plastikverschmutzung in der Tiefsee, und auch sie machten Transektbeobachtungen.

Über die Transekte auf See:

Beim Durchgehen unserer Ergebnisse haben wir festgestellt, dass wir auf den Touristenschiffen und die Wissenschaftler auf der Polarstern recht ähnliche Beobachtungen gemacht haben: Der menschlich verursachte Müll ist nicht gleichmäßig im Meer verteilt. Entweder wir fanden während unserer Transekte sehr viel Müll oder fast nichts. Auf dem Weg nach Norden, entlang der norwegischen Küste und zwischen den Inseln fand ich mit den Gästen den meisten Müll in der Nähe von Städten oder größeren Siedlungen. Später im Eis hatten wir fast keine Funde.

Über die Strandreinigungen:

Während der Strandreinigungen haben wir festgestellt, dass auch die Belastung der Strände mit Müll nicht gleichmäßig über die Inselgruppe verteilt ist. Die nördlichen Gebiete scheinen die am meisten belasteten zu sein, während an südlichen Stränden im Bell oder Hornsund kaum Müll zu finden ist. Das mag einerseits auf Meeresströmungen zurück zu führen sein. Zusätzlich machten wir aber eine andere Beobachtung: Besonders an einigen Stränden, die öfter von Expeditionsschiffen angefahren werden, ist fast kein Müll zu finden. Es kann also sein, dass es in Spitzbergen einen positiven Zusammenhang zwischen dem Tourismus und der Müllmenge an den Stränden gibt. Das ist besonders interessant, weil normalerweise genau das Gegenteil der Fall ist: In anderen Regionen ist an hochfrequentierten Orten auch der meiste Müll.

Bei unseren sieben Strandreinigungen haben wir insgesamt 992,4 Kilogramm Müll gesammelt, gewogen und klassifiziert.

Brucebukta                  39,1 kg                        (SV Antigua)

Reindiersodden          812,1 kg                     (SV Antigua)

Sorvika                        40,9 kg                       (SV Antigua)

Isflakbukta                 21,2 kg                       (MV Plancius)

Crozierpynten             12,9kg                        (SV Noorderlicht)

Alpiniøya 1                52 kg                           (SV Antigua)

Alpiniøya 2                14,2 kg                        (SV Antigua)

Den gesammelten Müll haben wir in unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Ergebnis: Der meiste Müll stammt von Plastikverpackungen (55,69 kg) und aus der Fischereiindustrie (927 kg).

IMG_0751Bitte beachten: Das ist nur der „wissenschaftlich“ gesammelte und sortierte Müll, den wir in besonderen eingegrenzten Bereichen einsammelten und auswerteten, um wissenschaftlich verlässliche Daten zu bekommen. Die Gesamtmenge des Mülls, den unsere Gäste oftmals nebenher, bei der Rückkehr zum Schiff oder zusätzlich zu den Strandreinigungen einsammelten, ist wesentlich höher. Maarten van der Duijn Schouten, Captain der SV Antigua: „Ich schätze, dass wir während der drei Reisen auf der SV Antigua rund 300 kg Müll pro Reise eingesammelt haben, hinzu kommt noch das  orangene Seemonster, der Seilfender, der allein schon etwa 800 kg wog. Also denke ich, es summiert sich auf 1700 kg während dieser drei Reisen.“ Und auch auf der  MV Plancius und der SV Noorderlicht sammelten wir noch über die Strandreinigung hinaus.

Besonders wenn man die große Anzahl der Fischernetze betrachtet, ist diese Sammlung eine unschätzbare Hilfe für das Tierleben Spitzbergens. Jedes Fischernetz kann ein Rentier und jedes kleine Plastikteil einen Meeresvogel gerettet haben.

WAS MIT DEN DATEN PASSIERT

Die Transektdaten werden jetzt zur Quantifizierung von Müllteilen auf der Meeresoberfläche, dem schwimmenden Teil der Verschmutzung, verwendet. Die Daten werden verglichen mit denjenigen, die während dreier Expeditionen auf der RV Polarstern im Sommer 2016 gesammelt wurden. Vergleicht man diese Zahlen mit denen anderer Regionen, zum Beispiel der Nordsee, können wir einschätzen, wie stark die arktische Meeresoberfläche betroffen ist und ob es einige Gegenden gibt, in denen sich Müll besonders anhäuft. Mit Computermodellen der ozeanographischen Abteilung des AWI werden wir versuchen, die beobachteten Verteilungsmuster zu erklären.

Daten von der Meeresoberfläche sind besonders wichtig, um das Risiko für Meeresvögel einzuschätzen. Eine Studie aus dem letzten Jahr hat zum Beispiel gezeigt, dass 88 Prozent der Eissturmvögel aus Spitzbergen Plastik gegessen hatten. Momentan wissen wir von 99 Prozent des Mülls, der in unsere Meere gelangt, nicht, wo er genau ist. Die Daten der Meeresoberfläche können nun mit den Verschmutzungsbildern verglichen werden, die wir in der Tiefsee gesammelt haben, um herauszufinden, ob der Meeresboden die finale Deponie für Meeresmüll ist.

Die Strandreinigungen werden für ähnliche Vergleiche genutzt werden. Nach einer ersten Prüfung sieht es aus, als ob die Zahlen (8 – 43 kg pro 100 m) vergleichbar sind mit denen, die zum Beispiel an Nordseestränden gesammelt wurden (10 – 345 kg pro 100 m). Die Daten können als ein Ausgangswert dienen. Wenn wir mit diesen Messungen fortfahren, ist dies der Anfang einer Langzeitbeobachtung. Veröffentlichungen der Ergebnisse in wissenschaftlichen Zeitschriften und Präsentation tragen zur Bewusstseinsbildung über den Umstand bei, dass unsere Verschmutzung sehr weit nach Norden vorgedrungen ist, und dass die arktische Tierwelt nicht mehr nur durch Klimaveränderung sondern auch durch unseren Müll bedroht ist (Robben, Meeresvögel, Eisbären, Rentiere).

LEHREN

Bei beiden Beobachtungsmethoden konnten wir Erfahrung für die Zukunft des Projekts sammeln.

Leider ist das übergreifende Ergebnis der Stranduntersuchungen:

Es gibt zu viel vom Menschen verursachten Müll an den Stränden

um den Müll vollständig zu zählen und die Strände vollständig zu reinigen.

Die Gründe:

  • Oft ist das Plastik bereits in unzählige Mikroplastik-Partikel zerfallen, die nicht in einer vertretbaren Zeit eingesammelt und noch weniger verlässlich gezählt werden können.
  • Oft ist es schwierig, festzustellen, ob es sich um Mikroplastik oder Sand / natürliche Produkte handelt
  • Oft hat sich das Plastik so mit natürlichen Prdoukten verbunden, dass es sehr schwierig ist, die beiden voneinander zu trennen
  • Viel Müll befindet sich unter der Oberfläche –  und es ist unmöglich, einen ganzen Strand bis in ein Meter Tiefe umzugraben.
  • Viele Gegenstände sind in den Boden eingefroren oder anderweitig blockiert und können nicht mitgenommen werden.

DSC_2330Da wir diese Sammlungen außerdem in der Arktis vornehmen, gibt es noch eine andere Herausforderung: die Eisbärengefahr. Wir brauchen während der Sammlungen zusätzlich zu denjenigen, die die Sammlung leiten, auch noch Guides, die die Eisbärenwache übernehmen – und damit viel Manpower, der den normalen Ablauf von Landungen leicht durcheinander bringt.

Manpower braucht man auch, um das Projekt an Bord vorzustellen, die Daten und Mailadressen zu verwalten und schließlich den Müll in Longyearbyen zu entsorgen. Dafür braucht es Hilfe und Unterstützung nicht nur von den Gästen, sondern auch von dem Reiseanbieter, dem Expeditionsleiter und dem gesamten Team. Wenn ich nicht selbst Expeditionsleiterin war, war ich sehr dankbar für die Unterstützung der ELs und der gesamten Teams, besonders Rolf Stange auf der SV Antigua und Christian Engelke auf der MV Plancius. Sie waren sofort begeistert, genauso wie Oceanwide Expeditions und Tallship Company. Müll sammeln klingt leicht, aber es ist ein Projekt, das alle Ebenen dieser Fahrten berührt und eine komplexe Logistik involviert.

DER NÄCHSTE SCHRITT

Wir planen, das Projekt in der arktischen Saison 2017 fortzusetzen.

Die Transektbeobachtung hat sich als leicht umsetzbar herausgestellt.

Die Strandzählungen brauchen etwas Veränderung.

DSC_3298Es scheint, wir haben einen enormen Aufwand betrieben, um am Ende ein vergleichsweise kleines Ergebnis und eine vergleichsweise kleine Datenmenge erhalten zu haben. Vor allem wegen der großen Müllmenge, die wir vorgefunden haben und den Schwierigkeiten alles einzusammeln und zu zählen.

Nachdem wir nun gesehen haben, dass es einen großen organisatorischen Unterschied macht, Müll nur einzusammeln oder Müll auch noch zu zählen, haben wir in unserem ersten Gespräch Ideen entwickelt, wie wir leichtere, schnellere Methoden anwenden können, die dennoch wissenschaftlich valide Daten liefern. Wir möchten Methoden für die nächste Saison entwickeln, mit denen wir Daten auf nahezu allen Landungen sammeln können, und nicht nur während der großen Reinigungen. Wir werden während des Winters daran arbeiten.

Und schlussendlich möchten wir auch einen besseren Weg finden, allen Teilnehmern zu danken. Wir haben uns sehr über die große Freude über die AWI-Tasse gefreut, die wir allen Teilnehmern an Bord der SV Antigua geben konnten. Es war logistisch leider unmöglich, diese Tassen auch auf der MV Plancius und der SV Noorderlicht zu verteilen. Wir werden auch diese Logistik verbessern, weil wir wirklich möchten, dass jeder Teilnehmer einen, wenn auch nur symbolischen Dank und auch eine schöne Erinnerung an das Projekt behält.

MEIN PERSÖNLICHES FAZIT

IMG_0697Für mich persönlich war es eine großartige Erfahrung, dieses Projekt mit zu entwickeln und auszuführen. Es macht auch weiterhin sehr viel Spaß, es nun zu verbessern. Erstens, ist eine Freude, mit Melanie und Lars vom AWI zu arbeiten, von ihrem riesigen Wissen in diesem Bereich zu lernen und dieses Wissen an die interessierten Gäste auf den Schiffen weiterzugeben. Zweitens ist es eine unschätzbar wertvolle Erfahrung, das Interesse, den Enthusiasmus und den Willen der Gäste zu sehen, wirklich etwas zu tun. Und mit welcher Begeisterung sie vor Dreck starrende und stinkende Netze weite Strecken über Strände getragen haben! Manchmal dachte ich, es machte die Menschen direkt glücklich, dass sie die Möglichkeit hatten, genau das zu machen. Dies mitzuerleben war sehr schön und wertvoll für mich, und für diese Erfahrung bin ich sehr dankbar. Nicht nur, weil dieser spontane Einsatz das Projekt erst möglich gemacht hat. Sondern auch, weil es scheint, dass nicht alle Hoffnung für die Menschheit vergebens ist! Wenn wir wollen, können wir!

Ich kann mich nur bei allen Teilnehmern und Unterstützen bedanken und euch bitten, diese Botschaft weiter zu geben, eure Erfahrung zu teilen, weniger Plastik zu verwenden und Plastikmüll aufzusammeln, wo auch immer ihr seid. Wie wir gesehen haben: Jedes kleine Stück kann einen großen Unterschied machen.

(Letzte Anmerkung: Ich habe nach der Zeit auf der Plancius, nach der ich noch auf der Noorderlicht und dann noch zu Buchrecherche in Grönland war, irgendwo auf dem Weg die Mailadressen der Teilnehmer auf der Plancius verloren (Logistik…). Ich hoffe, dass euch die Information auf diesem Weg erreicht.)