Plastic fantastic (2) – Wir müssen größer denken. Eine Provokation.

„Das bringt doch alles nichts“ – diesen Satz höre ich oft, wenn ich von Plastikvermeidung im Alltag rede. Während ich am Anfang immer argumentiert habe, dass alles hilft, was wir tun, habe ich mittlerweile meine Meinung geändert. Mir begegnen so viele Menschen, die sich um den kleinsten Krümel Mikroplastik sorgen. Während gleichzeitig noch immer an anderer Stelle Entscheidungen getroffen werden, die ein millionenfaches dieser mühseligen Plastik-Einsparungen aufwiegen. Deswegen wird dieser Text jetzt eine Provokation: Wir müssen aufhören, Cremes anzurühren und größer denken. Wir müssen aggressiver werden, unsere Energie zusammenlegen, dort aktiv werden, wo ein großer Nutzen zu erwarten ist. Weil uns die Zeit davon läuft.

Ich möchte eine Beobachtung mit euch teilen:

Vor kurzem hat in einem Plastik-Forum eine Nutzerin geschrieben, sie gebe sich sehr viel Mühe, auf Mikroplastik zu verzichten. Ihr Mann habe sich daraufhin auch in das Thema eingelesen und ihr dann vorgerechnet, dass Mikroplastik nur zwei Prozent des anfallenden Plastikmülls ausmache. Was sie mache, nütze also nichts. Daraufhin war die Nutzerin enttäuscht und fragte ins Forum, ob wirklich sinnlos sei, was sie tue.

Was wurde der Nutzerin geantwortet? Alle Antwortenden waren sich einig, dass jedes kleine bisschen etwas nützt. Die Nutzerin bekam Tipps, wie sie ihren Mann schon noch überzeugen könnte und wie andere Nutzerinnen das mit ihren Männern hinbekommen hatten. Und alle fanden zwei Prozent doch schon ganz ordentlich.

Vor einem halben Jahr hätte ich diesen Nutzerinnen zugestimmt.

Heute nicht mehr. Heute finde ich, wir sollten dem Mann der Nutzerin besser zuhören. Was er meinte, war nicht, Plastikvermeidung bleiben zu lassen. Sondern unsere eigene, limitierte Energie besser einzusetzen.

Folgende Beobachtungen habe ich gemacht, seit ich mich mit Plastikmüll und Plastikvermeidung beschäftige:

  • es gibt eine große Anzahl Menschen, denen dieses Thema vollkommen egal ist.
  • es gibt mittlerweile aber auch viele Menschen, die sehr viel Zeit, Recherche und Ressourcen einsetzen, um ihren Plastik-Konsum zu verkleinern.
  • diese Menschen perfektionieren ihren Konsum und machen viel Dinge am Ende selbst, weil sie im Handel keine perfekten Lösungen finden, sie haben außerdem oft ein schlechtes Gewissen
  • die meisten dieser Menschen konzentrieren ihre Bemühungen auf ihren eigenen Haushalt
  • kaum einer dieser Menschen engagiert sich auch auf anderer oder höherer Ebene
  • die meisten dieser Menschen sind Frauen

Diese ganze Plastikvermeidung und zerowaste-Geschichte ist eine ziemlich weibliche Angelegenheit. In den Foren tummeln sich zu 90 Prozent Frauen. Wir bemühen uns, verzetteln uns, gehen ins kleinste Detail und wollen perfekt sein. Die Foren wimmeln von Anleitungen, wie man Seifensäckchen näht um auch noch den letzten Seifenkrümel zu verwenden und dergleichen. Männer sind anders. Männer geben sich mit solchem Kleinkram erst gar nicht ab. Männer denken größer, bei Männern geht es darum, ob sich was rentiert, ob es praktisch ist, ob es zielführend ist. Bei Frauen geht es darum, ob sie sich gut oder schlecht fühlen mit ihrem Handeln.

Worauf will ich jetzt hinaus?

Ich denke, weil es vor allem Frauen sind, die sich mit Zerowaste engagieren, ist dieses Bewegung so kleinteilig und wenig darauf ausgerichtet, dass sich unsere (zeitlichen) Investitionen auch lohnen.

Denn nun stelle ich die ketzerische Frage: Ist die Zeit, die in all diese Nähereien und Postings fließt, gut investiert?

Ich möchte damit niemandem sein Engangement ausreden. Ich möchte einen Denkanstoß geben.

Dafür noch ein Beispiel: Ich denke, dass all diese Menschen, die sich in all den Zerowaste- und Anti-Plastik-Blogs tummeln, das gleiche Ziel verfolgen, nämlich eine Welt mit weniger Plastik zu bekommen. Diese Menschen fangen lobenswerterweise bei sich selber an und geben sich viel Mühe. Gleichzeitig überlegt die Stadt München aber gerade, all ihre Schulsportplätze mit Kunstrasen zu belegen. Weil das länger hält, weniger pflegeintensiv ist, etc. Kunstrasenplätze sind mittlerweile der zweitgrößte Lieferant von Mikroplastik in Deutschland. Wahrscheinlich sparen die gesamten peniblen Bemühungen aller Zerowaste-Engagierten unseres Landes gerade mal so viel Mikroplastik ein, wie ein solcher Sportplatz im Jahr emittiert. Und gleichzeitig konsumieren auch all die Menschen, denen das Thema vollkommen egal ist, ungebremst weiter.

Das ergibt folgende Situation:

Mit dem hochperfektionierten, auf den eigenen Haushalt gerichteten Blick wird nie ein größerer Effekt entstehen, als der aus dem unmittelbar eigenen Handelns. Alle Energie bleibt im eigenen, limitierten Wirkungskreis.

Und das ist nicht effizient.

Wir sprechen alle vom richtigen Verbrauch von Ressourcen, alle, die sich mit zerowaste beschäftigen, möchten wenig Ressourcen verbrauchen. Aber gleichzeitig verschwenden sie ihre eigenen wie ein beheiztes Zelt im Winter.

Bei einem meiner Plastik-Vorträge sagte ein Mann zu mir, er fände all mein Engagement ja sehr lobenswert. Aber ob meine ganze Energie nicht anderweitig besser eingesetzt werden könnte. Ich hätte beleidigt sein können. Aber der Mann hat Recht.

Es führt mich zu der Überlegung: Wir haben alle nicht viel Zeit. Jeder hat genug zu tun. Wir wollen aber alle etwas gegen Plastik tun. Warum also setzen wir unsere wenige Zeit nicht so ein, dass es deutlich mehr bringt? Warum denken wir in Seifensäckchen und nicht darüber nach, Großkonzerne zur Verantwortung zu ziehen, die Millionen Einwegflaschen pro Woche produzieren? Warum entwickeln wir in der Zeit, in der wir Handcreme selbst zusammenrühren, kein Konzept für Größeres? Warum empören wir uns nicht gezielt vor dem Verbraucherministerium, warum verlangen wir nicht konzertiert, dass wir endlich keine Mikroplastik-Produkte mehr wollen? Warum bestehen wir nicht darauf, dass wir ein Recht auf gesunde Produkte haben, die unsere Welt nicht über Gebühr strapazieren? Warum fordern wir nicht, dass wir einigermaßen plastikfrei einkaufen können müssen, ohne wöchentlich Stunden unseres Lebens zu opfern? Und nun komme ich zum Kern: Warum gleichen wir das Nichtstun von Politik und Herstellern aus, indem wir unsere Produkte selbst häkeln, eigene Seife brauen, Reinigungsmittel zusammenrühren und vieles mehr? Das ist nicht unser Job! Aber genau das ist eine typisch weibliche Handlung: Wir fühlen uns verantwortlich, Defizite in unserer Umgebung auszugleichen. Das tun wir ja immer.

Oh ja, das ist eine Provokation, ich weiß.

Was ich mit dieser Provokation erreichen möchte, ist: Schaut von oben auf euren Weg. Denkt nach. Was könnt ihr tun, das euch nicht mehr Zeit und Energie kostet als das, was ihr gerade macht, was aber viel mehr bringt? Mit wem zusammen? Wo könnt ihr mal anrufen, nachfragen, etwas vorschlagen? Etwas, das mehr Menschen betreffen wird, einen weiteren Kreis ziehen wird?

Ich möchte niemandem auf seinem Weg entmutigen. Ich bin selbst auf meinem eigenen Weg. Ich habe Plastikmüll zuerst in Spitzbergen nur wahrgenommen. Dann habe ich ihn eingesammelt. Dann darüber berichtet, geschrieben. Es folgte das Projekt mit dem Alfred-Wegener-Institut, mit dem wir den Müll wissenschaftlich quantifizieren. Und nun halte ich landauf, landab Vorträge über Plastikmüll. Ich tue das, was ich kann.

Aber manchmal ist es gut, von oben auf die Karte zu schauen und nicht nur auf den Weg direkt vor sich. Und ich merke, jetzt ist es wieder Zeit für einen neuen Schritt. Berichten und darüber sprechen reicht mir bald nicht mehr.

Was wird mein nächste Schritt?

Was wird euer nächster Schritt?

Wir sind viele, und wir wollen alle das Gleiche – wir können Dinge verändern, wenn wir aufhören, einzeln vor uns hinzuwursteln.

Denkt nicht mehr in Seifensäckchen! Unsere Welt ist groß und wir müssen größer denken!