Schuhe, Helme, Duschgel-Packungen: Auch 2019 haben wir das Citizen Science Strandmüll-Projekt für das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) wieder fortgesetzt. Auf zwei Inseln in der Hinlopenstraße Spitzbergens haben wir mit Gästen Müll gesammelt, mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Dieser Müll geht jetzt teilweise nochmal auf die Reise.
Wissenschaftliches Müllsammeln in Spitzbergen ist und bleibt eine komplexe Angelegenheit. Natürlich liegt jede Menge herum, im Grunde muss man es nur aufsammeln. Während des Sammelns aber braucht man hier, anders als anderswo, Eisbärenwachen. Und dann erfordert das wissenschaftliche Sammeln mehr Zeit, Koordination und Anleitung. Die Sammelstelle muss genau ausgemessen, der Müll sortiert und erfasst werden. Dann müssen wir ihn an Bord bringen, gut verstauen, in Longyearbyen wieder von Bord schaffen und im richtigen Container entsorgen. Mit Gästen auf Touristenschiffen ist das eine Mammutaufgabe. Denn die Sammelei muss natürlich auch in den Tourenplan passen, es darf kein schönes Erlebnis ausfallen, nur weil wir Müll sammeln wollen. Die Gäste müssen einverstanden sein und Lust dazu haben. Wetter, Wind und Eis müssen mitspielen. Das heißt, bevor wir überhaupt sammeln, müssen sehr viele Faktoren wirklich gut passen.
Sammlung auf Tommelen
Dieses Jahr ist uns das zweimal gelungen, an einem Tag sogar. Auf der Spitzbergen-Umrundung mit der SV Antigua haben wir in der Hinlopenstraße auf zwei Inseln Müll eingesammelt. Die erste Sammlung haben wir auf der kleinen Insel Tommelen, südlich des Alkefjellet gemacht. Die Insel lag zeitlich gut in unserem Plan und wir konnten schon von Weitem sehen, dass sich dort in einer Bucht viel Müll angesammelt hatte. Kurz entschlossen fragten wir zehn Gäste, mit an Land zu kommen für eine Sammlung. Diese Freiwilligen waren wie immer schnell gefunden. Behutsam fuhren wir in die flache Bucht der Dolerit-Insel. In dieser Bucht, die wohl nahezu nie von Menschen betreten wird (gibt es jemanden hier, der schon auf Tommelen war :-)? ) fanden wir: Helme, Fischernetze, Treibkugeln von Netzen, Seile, Plastikstreifen, Plastikteile, Deo-Behälter, Duschgelverpackungen und vieles mehr. Eine Stunde lang sammelten elf Sammler so viel ein wie möglich. Etliches an kleinen Plastikstückchen allerdings mussten wir – wie so oft – zurücklassen. In der Bucht hatte sich sehr viel Treibholz angesammelt, das meiste Plastik war zwischen den Stämmen hängen geblieben.
Das Ergebnis dieser Sammlung steht noch aus: Die vielen kleinen Säcke haben wir an Bord wieder in einen großen weißen Sack umgefüllt und ihn am Ende der Reise beim Logistik-Unternehmen Pole Position vor die Türe gestellt. Pole Position kennt das Procedere nun schon: Der Sack samt Müll wird nach Bremerhaven geschickt. Dort wird er am Alfred-Wegener-Institut von den Wissenschaftlern Melanie Bergmann und Lars Gutow geöffnet und untersucht. In der geschützten, wind- und eisbärfreien Atmosphäre des AWI lässt sich der Müll deutlich genauer untersuchen, als uns das am Strand möglich ist. Der Sack ist momentan noch unterwegs nach Deutschland. Ich bin gespannt, was wir darin alles finden werden.
Nach der ersten Sammlung haben wir die Walrosskolonie auf der Wahlbergøya besucht. Ich liebe diese stillen Landungen, bei denen wir aus angemessener Distanz einfach nur in Ruhe diesen Tieren zuschauen, wie sie am Strand liegen und verdauen, oder nah am Ufer nach Muscheln tauchen. Weil auch direkt in den Kolonien mittlerweile häufig Plastikmüll liegt, spornen solche Landungen aber auch immer wieder zu Strandreinigungen an.
Die AWI-Müllinsel
Die zweite Sammlung machten wir also direkt nach dieser Walross-Landung. Weil wir unsere Sammelstellen möglichst unbeeinflusst auswählen sollen (also nicht nur dort sammeln, wo viel Müll liegt), haben wir uns auf der Karte eine winzige Insel ausgesucht, die nicht einmal einen Namen hat. Es war eine der Wijkanderøyane, wir haben sie kurzerhand die „AWI-Müllinsel“ getauft.
Der Hintergrund dieser Auswahl war meine Neugier. 2017 hatten wir im Rahmen des Projekts schon einmal eine Insel in der Hinlopenstraße untersucht, Kiepertøya. Dort hatten wir ein verheerendes Bild vorgefunden – einen der vermülltesten Strände, die ich je in Spitzbergen gesehen hatte. Auch von dort hatten wir den Müllsack nach Deutschland geschickt. Auf Tommelen nun sah es ähnlich aus. Mit der Untersuchung einer dritten Insel wollte ich mehr darüber herausfinden, ob alle Inseln in der Hinlopenstraße strömungsbedingt sehr vermüllt sind, und ob die Inselform – vorwiegend aus kantigem Dolerit – dabei eine Rolle spielt.
Die nun auserwählte AWI-Müllinsel ist eine wirklich sehr kleine Insel: 1188 Quadratmeter misst sie nur, mitten in der Hinlopenstraße. In absolut flachem Wasser konnten wir mit den Schlauchbooten dort an Land gehen, in einer wunderbaren Abendstimmung.
Zu tun gab es dort überraschenderweise sehr wenig für uns: Wir fanden nur einige Fischernetzreste und kleinteiligen Müll, 490 Gramm insgesamt, 65 Einzelteile, vor allem wieder Fischernetze und Seile. Vermutlich liegt das an der Topographie: Auf den anderen beiden Inseln haben wir nördlich gerichtete Buchten besucht, in denen sich der Müll sammelte, hier auf der AWI-Müllinsel, die komplett aus Doleritfelsen besteht, bleibt dagegen wenig hängen. Überrascht hat es uns dennoch, weil wir vermutet hatten, dass sich zwischen den Felsen viel verfängt. Und doch fanden wir es sehr schön, dass dieses traumhafte Licht und diese bezaubernden Stimmung nicht von Müll zerstört wurde.
Der Sinn der Sammlungen bleibt weiterhin, dass wir ein genaueres Bild davon bekommen, wie groß das Problem in Spitzbergen wirklich ist und woraus der Müll genau besteht. Das Ziel ist, mit dem Veröffentlichen dieser Zahlen ein größeres Bewusstsein für die Plastikproblematik zu schaffen. Und darüberhinaus auch die Quellen des Mülls zu definieren und angehen zu können – denn die Sammlungen lösen das Problem ganz sicher nicht. Sie verhindern vielleicht das Verheddern einiger Tiere, was auch schon ein Erfolg ist. Mehr aber nicht. Nächstes Jahr werden wir weiter sammeln, dann vor allem auf der kleinen MS Cape Race.
Vielen Dank an alle, die diese Sammlungen wieder mit ermöglicht haben: Michelle van Dijk (Expeditionsleiterin SV Antigua), Robert Wolting (Kapitän SV Antigua), die gesamte Crew der SV Antigua, Tallship Company, Marcus Grahl (Leguan Reisen) und natürlich alle Gäste der Spitzbergen-Umrundung, die den Müll eingesammelt haben.